ReferentInnen: Pascal Kümpel, Pascal Küpper, Deniz Tatlisu

Zu Beginn der Sitzung vom 08.01.08 wurde ein Referat zum Thema Robert von Ackeren und seiner Amateurfilmreihe “Deutschland privat” gehalten. Im Anschluss daran betonte Herr Höltgen, dass von Ackeren hier nicht der Regisseur im herkömmlichen Sinne sei, sondern eher ein Arrangeur, der die Aufnahmen begutachtet, selektiert und dann montiert. Des Weiteren warf er die Fragen auf, ob und welche Unstimmigkeiten im Film auf einen Bruch in der Authentizität hinweisen und ob es wirklich nur aneinandergereihte Aufnahmen seien, die uns präsentiert worden sind.

Hier wurde festgestellt, dass die bei der Partyszene verwendeten Jump Cuts, die Kommentare aus dem Off sowie die zur Unterstützung der Dramaturgie von von Ackeren nachträglich eingespielte Filmmusik den Authentizitätsbruch kennzeichnen. Bild- und Tonspur konnten bei dem verwendeten Super-8-Filmformat (dessen Nachfolger die VHS-Technik war) nur getrennt aufgezeichnet werden - eine synchrone Wiedergabe, wie man sie in den Filmen sehen kann, ist also nur durch nachträgliche Montage möglich.

Die von den Referentinnen aufgeworfene Frage nach der künstlerischen Freiheit der Amateuraufnahmen wurde von Herrn Höltgen mit der Präfigurierung des Filmbewusstseins der Produzenten und Rezipienten beantwortet. So ahmten die Darsteller beispielsweise in ihren Privatfilmen Sexpraktiken und Einstellungen aus pornografischen Medien nach (u.a. die direkte große Nahaufnahme). Ebenso versuchten die Paare den typischen Aufbau einer Pornoszene zu kopieren, die in den meisten Fällen wie folgt strukturiert ist: Beschreibung der Person, Vorspiel, Geschlechtsverkehr (ca. 50-60 % des Gesamtfilms), (angedeuteter) weiblicher Orgasmus und schließlich der Cumshot.

Seit den 80ern findet der Cumshot mehrheitlich außerhalb der Frau, häufig in Großaufname auf Körper oder Gesicht, sozusagen als Beweis statt. Dieser Klimax fehlt mit Ausnahme der Hamsterszene bei allen gesehenen Amateurfilmen. Durch bewusst erhaltene missglückte Szenen wie dem Blick in die Kamera oder der Abbildung des filmischen Settings soll die Amateurhaftigkeit unterstrichen und künstliche Authentizität erzeugt werden. Dem entgegen steht die erzählende Musik und die Tatsache, dass diese Filme kein reiner Teil der Intimsphäre sind, sonden bewusst gedreht wurden, da es Aufrufe in diversen einschlägigen Magazinen wie etwa “Happy Weekend” gab.

Eben dieses Kontaktmagazin bringt seit Ende der 80er unter der Regie von Harry S. Morgan begleitende Filme unter dem Titel “Happy Video Privat” heraus, die allerdings separat zur Zeitschrift verkauft werden. Bis heute sind über 100 Folgen bei Videorama erschienen.
Der gezeigte Film ist der Versuch der Aufnahme von privaten sexuellen Akten in deutschen Wohnzimmern zu Beginn der 90er. Um dies authentisch zu gestalten, wurde auch hier auf das Stilmittel des amateurhaften Umgangs mit der Technik wie etwa das häufige Zoomen aus einer Einstellung heraus oder das Gespräch mit dem Kameramann gesetzt.

Prof. Wetzel wies innerhalb dieser Besprechung auf eine wesentliche Grundthematik im Seminar hin: die Tatsache, dass die Authentizität immer in Bezug zum Herstellungscharakter eines Mediums stehe und das wirklich Authentische nur das Machen des Films selbst sei. Die Bedeutungsspanne der Begriffe Authentizität und Realität muss daher stets bedacht werden, damit es innerhalb ihrer Thematisierung nicht zu Verwechslungen kommt.

Die von Morgan in “Happy Video Privat” geführten Interviews besitzen zwei Funktionen: zum einen sollen sie biografische Fakten der Protagonisten liefern, andererseits setzt er sie ein, um bewusst auf den Pornodiskurs überzuleiten. Gerade die zweite Funktion schlägt dabei meistens fehl, weil die Darsteller nicht darauf eingehen wollen oder können. Einen Erklärungsansatz hierfür liefert der Begriff „Pornotopia“, der die Heimat der gesamten Pornowelt bezeichnen soll, in der alle toll aussehen, immer Lust haben und in der jeder sexuelle Akt ohne jegliche Potenz- oder Lustprobleme abläuft. Harry S. Morgan ist Bestandteil dieser Welt, die Amateurdarsteller aber nicht, so dass der von Morgan evozierte Diskurs von diesen nicht angenommen werden kann. Letztlich ist aber gerade der Zusammenprall von Interviews mit Laien und Pornografie das, was das Private in der Happy Video Privat-Serie eigentlich ausmacht.

Natürlich besitzen die Filme verschiedene Mankos, die Pornofilme mit professionellen Darstellern möglichst vermeiden: die Amateure sind nach keinem Schönheitsideal ausgewählt und eventuelle Schönheitsfehler wie Übergewicht oder blaue Flecken werden nicht kaschiert. Damit stehen die Amateurfilme im krassen Gegensatz zu den vor allem ab den 80ern populären hoch ästhetisierten, gestylten und durchdramatisierten Pornos (s. Andrew Blake) - und sind trotzdem einer der Garanten für den kommerziellen Erfolg von Pornoproduktionsfirmen und -verleihen. Die Leute haben sich satt gesehen an diesen stilisierten Erotikfilmen, so dass das Private und die schon in den 70er Jahren aus der Not geborene Privatpornografie unter dem Begriff der Gonzopornografie mittlerweile den Markt dominieren. War es in den 70ern noch eine reine Notwendigkeit, weil Pornografie in der Öffentlichkeit verboten war, so erlebt das Genre heutzutage ein gewolltes Revival.

Nach der Filmdiskussion schauten wir uns auf youporn.com zwei Privatfilme (”Schöner Fick”, “Ich ficke meine Süße”) und einen Dokumentarporno (”The missionary position”) an. Im ersten Film wird nicht mehr als der Geschlechtsakt a tergo in einer Nahaufnahme von oben gezeigt, im zweiten filmt eine fest positionierte Kamera ebenfalls in nur einer Einstellung den sexuellen Akt im Schlafzimmer. Anders operiert da der dritte Film, in welchem die Missionarstellung dokumentarisch dargestellt und erklärt wird. Teilweise wird sogar das Eindringen des Penis und der Cumshot von innerhalb der Vagina gezeigt. Danach wurde die Diskussion auf gendertheoretische Ansätze gebracht: der weibliche Orgasmus sei ein Faszinosum, welches dem Mann auch durch den Pornofilm verständlich gemacht werden müsse. Er sei das letzte Rätsel der Frau und könne im Gegensatz zum mechanischen Prozess des Mannes leicht fingiert werden.

Als nächstes wurde eine Verbindung hergestellt zwischen Horror- und Pornofilm, die sich in vielen Aspekten treffen. So deutet beispielsweise Werner Faulstich den Film Alien als Geburtsprozess (Raumschiff mit gespreizten Beinen, im Inneren Eier, etc.). Als gemeinsames Phantasma steht bei beiden Genres das Enträtseln des Körpers, sie besitzen also einen gemeinsamen Ursprung. Somit sind die effektivsten Horrorfilme also solche, die etwas mit Geburt, Traumata, der Urszene, etc. zu tun haben. Wo im Pornofilm der Orgasmus steht, findet man im Horrorfilm grob gesagt denSchmerz.

Abschließend besprachen wir die für die Thematik essentielle Grundsatzfrage, wo denn die Gegentendenz des Amateurfilms zum professionellen Pornofilm zu finden ist. Der Markt der Pornografie funktioniert üblicherweise eher auf dem Kunstbereich, weil die Rezipienten im Kino nicht die gleichen möglicherweise vorhandenen Enttäuschungen wie zu Hause sehen wollen. Der Amateurfilm kehrt dieses nun um, indem er eben keine perfekten Körper zeigt, sondern normale, unverfälschte Menschen. Das Erotische hat immer etwas zu tun mit der Dialektik von Darstellung und Nichtdarstellung - der Augenblick der Darstellung regt dazu an, sich das Gesehene weiter vorzustellen, so dass die “Happy Video Privat”-Filme laut Herrn Wetzel niemals erotisch sein könnten, weil die Erwartung immer enttäuscht werde. Man bekomme nicht das zu sehen, was man sich erwartet habe (fehlender Cumshot, …).
Trotzdem verdienen Videotheken gerade mit der Gonzopornografie ihr Geld, weil die erfahrene Erregung bei Personen, die man theoretisch auch außerhalb des Filmes mit einer größeren Wahrscheinlichkeit treffen oder sehen könnte, höher ist als bei den unerreichbaren Pornostars.