Protokollanten: Andrea Jilge, Christine Zeese, Jens-Patrick David

Nach dem Verlesen des Stundenprotokolls wurde ein Referat zum Thema „Foucaults Analyse von Velázquez’ „Las Meninas““ gehalten. Zum besseren Verständnis haben wir hier zuerst gemeinsam das Gemälde „Las Meninas“ betrachtet um dann näher auf dessen Struktur und Foucaults Thesen einzugehen.

So lässt sich bei diesem Gemälde, welches „angeblich realer wirkt als die Realität“ zum Beispiel bis heute nicht eindeutig sagen, wo der Mittelpunkt des Bildes liegt.
Des weiteren gibt es auch zur eigentlichen Bildaussage verschiedene Thesen.

Die erste These besagt, dass es ein fiktives Model geben muss, auf das alle auf dem Bild dargestellten blicken. Wahrscheinlich ist das Königspaar, das nur als Spiegelbild abbildet wird, das Model. In diesem Fall würde das Prinzip der “Reziprozität” zutreffen, laut dem zwischen dem Künstler (Maler), dem Betrachter (uns) und dem Model (dem Königspaar) eine Beziehung besteht. Die Rollen vertauschen sich: Wir sind Betrachter und Betrachteter.
Eine andere These sieht das gesamte Gemälde als Spiegelbild und somit auch als selbstreflexiv an. Dafür spricht das Argument, dass die Farben des Mädchens denen entsprechen, die der Maler auf seiner Palette hat. Außerdem arbeitete Velázquez gerne mit Spiegelperspektiven. Da die abgebildeten Personen verhältnismäßig groß sind, müssten sie nach dieser These jedoch direkt vor dem Spiegel stehen.

Ergänzend zum Referat machte Herr Höltgen noch einmal auf den Spiegel als zentrales Thema aufmerksam und darauf, dass der Betrachter auch in diesem Fall in die Bildwelt hinein gezogen wird. Auch im modernen Horrorfilm (zum Beispiel bei „Henry – Portrait of a Serial Killer“) werden Spiegel gerne benutzt um den Filmenden zu zeigen und somit mehr Realität zu erzeugen.

Als nächstes haben wir uns noch einmal den Prolog zu William Castles Film „The Tingler“ angeschaut, welcher chronologisch in der Mitte der Produktionen von William Castle anzusiedeln ist. Andere bekannte Filme von Castle sind zum Beispiel „House on Haunted Hill“ und „13 Ghosts“ von 1959 bzw. 1960.

William Castle hat die Intention, dass seine Zuschauer Film “erleben” sollten. Deshalb tritt er mehr als Performer denn als Regisseur auf. In der Eröffnungsszene von „The Tingler“ spricht der Regisseur das Publikum scheinbar direkt an und erzeugt dieses Gefühl beim Zuschauer durch verschiedene Effekte:

  1. Sein Blick schweift nicht ab.
  2. Der weiße Hintergrund suggeriert, dass auf der Leinwand noch kein Film läuft.
  3. Es erfolgt eine deiktische Annäherung durch die direkte Ansprache („you“).
  4. Eine perspektivische Annäherung wird dadurch erreicht, dass kein Zoom genutzt wird, sondern zwei Cuts den Zuschauer näher heranziehen.
  5. Dadurch, dass Castle sich zwischen dem schwarzen Rand des Bildes und dem weißen Hintergrund befindet erfolgt eine räumliche Annäherung.

Es erfolgt in dieser Szene also sowohl eine optische als auch eine diskursive Annäherung.

Auch in anderen Szenen fühlt sich der Zuschauer dadurch einbezogen, dass er das Geschehen durch den Blickwinkel der Personen sieht. So z.B. bei der taubstummen Frau, die erschreckt wird oder dem Arzt, der das Skelett nur verschwommen erkennt. In Bezug auf die Taubstumme wird der Point of View nicht konsequent die ganze Szene lang beibehalten, denn an die gruselige Hand wird herangezoomt, obwohl die Frau weit davon entfernt steht.

Des weiteren ist „The Tingler“ der erste Film, der die Droge LSD thematisiert. LSD wird im Film als bewusstseinserweiterndes Mittel dargestellt, welches durch eine Überdosierung einen Horrortrip auslöst und auch Vincent Price erlebt im Film augenscheinlich einen LSD-Horrortrip. Der Arzt konsumiert LSD um Angst empfinden zu können.

Als nächstes haben wir uns näher mit der Kinoszene im Film befasst. Ein Film, der einen Film zeigt, steht ontologisch über dem zitierten Film und der „Film im Film“ lässt den eigentlichen Film realistischer erscheinen. In der Kinoszene wird die sogenannte 4. Wand durchbrochen. Dies geschieht dann, wenn Themen sich selbst reflektieren, z.B. wenn der Erzähler behauptet, er sei in der Welt der Zuschauer oder sie in seiner. In der Kunstwissenschaft nennt man dies „Mise en abyme“, in der Literaturwissenschaft spricht man hier von einer Metalepse.

Die Personen, die im Kino sitzen werden kurzzeitig nicht mehr gezeigt und der gezeigte Film wird unterbrochen. Einen Moment später krabbelt der Tingler über die Leinwand. Da die Rezipienten von “The Tingler” kurzzeitig nur ein schwarzes Bild sehen, sind sie verunsichert darüber, ob der echte Film unterbrochen wurde oder der zitierte.

In der Kinoszene lassen sich verschiedene logische Brüche finden. Zum Beispiel wird der Film “The Tingler” unterbrochen, obwohl eigentlich nur der zitierte Film unterbrochen werden dürfte. Darüber hinaus nimmt Vincent Price Stimme mit den Worten „Schreien sie!“ eine Position ein, die nicht mehr die filmische Position des Protagonisten ist. Es ist außerdem unlogisch, dass der Tingler den Techniker würgt, nachdem die Information verbreitet wurde, dass der Tingler durch die Schreie erledigt worden sei. Auch der Umstand, dass das Kino nach dem Auftreten des Tinglers nicht geräumt, sondern der Film einfach weiter abgespielt wird, wirkt unrealistisch.

Castle gab sich nicht nur mit filmtechnischen Mitteln Mühe, gewisse Effekte aus zu lösen. Er ließ bei einem seiner Filme sogar vereinzelt Stühle im Kino vibrieren, was tatsächlich eine Panik auslöste. Bei einigen Kinoaufführungen von „House on Haunted Hill“ ließ Castle an Seilen befestigte Skelette durch den Kinosaal fliegen. In Bezug auf “The Tingler” entstand die Idee, Statisten im Kinosaal ein zu setzten oder Murmeltiere während des Films an die Füße der Gäste zu werfen. Tatsächlich umgesetzt wurde eine Autokino-Version von „The Tingler“, in welcher Soundeffekte zerbrochener Frontscheiben eingespielt und die Autofahrer aufgefordert wurden, die Scheinwerfer anzuschalten, um den Tingler zu vertreiben.
In Bezug auf die sog. “body genres” stellt sich die Frage, wie der Zuschauer körperlich adressiert wird bzw. wie der Körper des Zuschauers auf die Effekte reagiert? Zu den körperlichen Affekten gehört Lachen, Zittern, sexuelle Erregung, Weinen oder Schreien. Laut Linda Williams zeigen diese Reaktionen, dass der Zuschauer das Filmgeschehen mitempfindet.

Der Tingler wird als Metapher für den Schrecken eingesetzt. Er wohnt im menschlichen Körper und wächst durch das Ansteigen der Angst. Durch Schreien wird er eingedämmt. Wer nicht schreit, dem zerbricht der Tingle die Wirbelsäule. Der Versuch, den Tingler mit einem Bunsenbrenner zu töten misslingt. Über die Metapher des Tinglers wird dargestellt, dass der Affekt selbst affektlos ist. Deswegen äußert der Protagonist in Bezug auf den Tingler die Feststellung: „Nothing affects it!“: Doch die Personen im Film schaffen es doch dem Tingler beizukommen, indem sie ihn der Verstorbenen wieder einsetzen. Es gibt auch eine Erklärung dafür, warum der Tingler in einer hysterischen Frau wächst. “Hysteria” hieß nämlich früher Gebärmutter. Man glaubte, dass bei hysterischen Frauen die Gebärmutter durch den Körper wandere und andere Körperteile mit ihrem sexuellen Bedürfnis anstecke. Diese Theorie ähnelt der Metapher vom Tingler.

Hans Schmidt nennt zwei Produktionssysteme, die vor allem historisch voneinander unterschieden werden, von Castle in “The Tingler” jedoch vereint werden. Das eine Produktionssystem nennt sich PMR (primitiver Film). Es zieht den Zuschauer durch Unabgeschlossenheit in den Film herein. Das neuere System gibt es etwa seit 1907. Es nennt sich IMR (industrieller Film) und nutzt modernere Techniken. In Filmen des IMR tritt z.B. der Erzähler auf und erklärt die Situation. Zu diesem System gehört unter anderem ein Montagesystem, bei dem der Schnitt unfühlbar gemacht werden soll. Außerdem wird beim IMR mit shot und Gegenshot gearbeitet. Auch in The Tingler findet sich ein Beispiel dafür: Die Personen im Kino werden gezeigt. Darauf folgt ein Schnitt und danach wird die Leinwand gezeigt.

William Castle vermischt also die Effekte des PMR mit denen des IMR, um das Gefühl hervorzurufen, dass der Tingler im realen Kinosaal sei. IMR und PMR sind nicht die einzigen Systeme, die von William Castle vermischt werden. Auch der seit 1927 bestehende Stummfilm wird mit dem Tonfilm kombiniert. Die vielen Close-Ups, die in Bezug auf die taubstumme Frau genutzt werden, wären typisch für Stummfilme, da Stummfilmdarsteller sich durch Gesten ausdrücken mussten. Eine mögliche These wäre, dass die Stummfilmdarstellerin symbolisch mit dem Stummfilm sterbe, dadurch dass sie das Blut bzw. die rote Flüssigkeit in Farbe sieht. Sie stirbt sozusagen als “Stummfilmartefakt”. Die Tatsache, dass die Taubstumme am Ende des Films wieder aufersteht, widerspricht jedoch dieser These. Außerdem wird der Schwarzweißfilm mit dem Farbfilm kombiniert. In dem fingierten Schwarzweißfilm “The Tingler ” erscheint plötzlich rote Farbe. Tatsächlich wurde der Film in Technicolour aufgezeichnet und erst anschließend wurde ihm die Farbe entzogen.

Zuletzt wird in “The Tingler” ein Konflikt zwischen altem und neuem Horrorfilm hervorgerufen. Der typische Spanner- (Alfred Hitchcock - Psycho) und der Spiegeleffekt (Michael Powell - Peeping Tom) werden mit den Effekten und Requisiten alter Horrorstreifen kombiniert. Selbst die Vorformen des Films, die Schattenspiele, werden in Form des über die Leinwand krabbelnden Tinglers aufgegriffen.

Zusammengefasst ist “The Tingler” von William Castle ein selbstreflexiver Film, der den Zuschauer mit Hilfe alter und moderner Filmtechniken in den Film herein zieht.