Protokollantinnen: Izabela Banasik, Miriam Jankowski, Anne Knüpfer, Sarah Wiegand

(alternatives Protokoll von Verena Krušic (PDF))


Zu Beginn der Sitzung verwies Prof. Dr. Wetzel auf Bernd Stieglers „Bilder der Photographie. Ein Album photographischer Metaphern“ (Edition Suhrkamp), in dem signifikante Stichwörter zur Fotographie erläutert werden. Es wurde hierzu nochmals die Falsifikationsanfälligkeit der Fotographie, bei der wie mit allen anderen Medien kein wirklich objektives Festhalten der Realität möglich ist, betont. Als ein Beispiel dafür, wie Falsifikation zur Manipulation genutzt werden kann, wurden mit Bluescreen-Verfahren erstellte Nachrichten genannt.

Als Modifikation zum im Anschluss verlesenen Protokoll der letzten Stunde merkte Herr Wetzel an, dass man Bildunterschriften nicht zwangsläufig benötigt, um Bilder zu verstehen, sondern diese vielmehr eine Möglichkeit darstellen, die Deutung zu lenken. Zur Beschäftigung mit der Vieldeutigkeit der Fotographie wurde das Buch „Eine andere Art zu erzählen“ des britischen Schriftstellers, Malers und Kunstkritikers John Berger empfohlen. Berger schildert darin unter anderem ein Experiment, in dem verschiedenen Leuten mit der Frage „Was stellt dieses Foto dar?“ Bilder vorgelegt wurden – mit dem Resultat, dass die Anzahl der Deutungen mindestens der Zahl der Rezipienten entspricht.

Am Exempel des Fotoromans wurde deutlich gemacht, dass der Mensch dazu neigt, Bilder miteinander zu verknüpfen, auch wenn diese keinen gemeinsamen Ursprung haben. Der Rezipient versucht also automatisch, einen logischen Zusammenhang herzustellen; die Geschichte wird gleichsam im Kopf zusammengesetzt. Chris Marker hat dieses Konzept mit seinem Film „La Jetée“ im Grunde nur fortgesetzt.

Im Anschluss wurde noch einmal die Frage diskutiert, ob die Postmoderne eine Epoche oder eine Strömung ist. Diese Frage ist auch zurückzuführen auf das Problem der unterschiedlichen Moderne-Begriffe. Je nach Betrachter und Definition kann als „Moderne“ die nach dem Mittelalter beginnende Epoche gelten oder erst die Zeit ab den 1920ern. Merkmal der Moderne ist das kaskadenhafte Phänomen, dass stetig Neues hinzukommt, Neues aber auch gleichzeitig zum Alten wird, d.h. in dem Moment, in dem etwas als „modern“ bezeichnet wird, ist es schon nicht mehr modern. Die Postmoderne geht nun davon aus, dass das nicht immer so weiter fortgeführt werden kann, sondern dass es irgendwann eine Innovationserschöpfung geben muss. Zwangläufig wiederholt sich alles und Epochen können sich vermischen. So können beispielsweise in Videospielen mittelalterliche Ritter gegen Römer oder Raumfahrer kämpfen.

Für Jean-François Lyotard ist das Ende der Moderne „das Ende der großen Erzählungen“. Es gibt nicht mehr DIE eine zusammenhängende Erzählung, sondern vielmehr zerfällt die Handlung in viele kleine Geschichten, so genannte short cuts. Dieses Phänomen ist zudem häufig mit Zeitverschiebungen verbunden, beispielsweise in Quentin Tarantinos Film „Pulp Fiction“. Das wichtigste Kennzeichen von postmoderner Architektur ist, dass sie nicht realisiert wird. Die Werke leben also nur in den Ausstellungen. Eine Ausnahme bildet hierbei das Holocaust-Denkmal in Berlin. Die Diskussion zur Definition der Postmoderne kann jedoch kein richtiges Ergebnis finden und wird noch oft geführt werden. Wir verblieben aber für uns dabei, dass die Postmoderne keine klassische Epoche (wie z. B. die Romantik) sei, sondern eine Gegenströmung.

Es folgte ein Referat zum Thema „Inszenierter Mythos“ am Beispiel des Horrorfilms „Blair Witch Project“, für den es keine klassische Werbekampagne gab. Als Novum fand nämlich ausschließlich über eine Website eine gezielte Vermarktung statt. Auf dieser Homepage, die bereits seit Ende 1998 – also lange vor der Veröffentlichung des Films – zugänglich war, wurden fingierte Hintergrundberichte veröffentlicht. So war dort beispielsweise eine zwar sehr detaillierte, aber eben nur erfundene Zeittafel zur Legende der Hexe von Blair einsehbar, ebenso wurden Fotos von angeblichen Fundstücken – wie Heathers Tagebuch – abgebildet. Durch stetige Aktualisierungen der Seite wurde die Aufmerksamkeit der Rezipienten zusätzlich gelenkt.

Von den Referenten wurde die Frage in den Raum gestellt, ob dieses fingierte Dokumentationsmaterial über den Mythos der Hexe von Blair den Film authentischer macht. In der Diskussion verblieben wir dabei, dass man dazu zwangsläufig die Homepage VOR dem Film gesehen haben muss, da der Film trotz seines Dokumentationscharakters alleine nicht funktioniert und im Nachhinein nicht mehr authentisiert werden kann. In den USA wurde der Produktion jedoch mitunter sehr viel Glauben geschenkt. So meldeten sich beim örtlichen Sheriff beispielsweise Anrufer mit Hinweisen. Hier wurde also der Mythos durch Fiktion zur Realität.

Es wurde angemerkt, dass auch in Deutschland die Werbung über fingierte DIN A4-Vermisstenanzeigen der Studenten anstelle von Kinoplakaten betrieben wurde, was aber eher als verwirrend und unlogisch empfunden wurde. Vielmehr war die einhellige Meinung, dass der Film hier schon nicht mehr funktioniert hat, weil er später veröffentlicht wurde und man aus den USA bereits die Diskussionen und Reaktionen der Medien mitbekommen hatte. Trotzdem unterstützten auch hierzulande Radiosender den Mythos, indem sie den Film als etwas anpriesen, bei dem man nicht wisse, ob es sich um Doku oder Fake handele.

Herr Wetzel bemerkte, dass es sich hierbei mitunter auch um ein nationales Phänomen handeln würde. So gäbe es beispielsweise eine bestimmte Art von Horrorfilm ausschließlich in den USA. Diese beginnt immer nach dem gleichen Schema mit einer heilen Welt (Herbst, Zeitungsjunge auf dem Fahrrad, Familie ist gerade in neues Haus eingezogen, etc.) und endet im Chaos (Haus explodiert am Ende oder Ähnliches). Auf tiefenpsychologischer Ebene lässt sich das mit dem schlechten Gewissen der Bevölkerung erklären, die das Gefühl hat, sich das Land unrechtmäßig angeeignet zu haben. Aus dem Glauben heraus, dass die rechtmäßigen Eigentümer ihr Land wiederhaben wollen, entstünde so der Hexenkult (z. B. Halloween). Es wurde die Vermutung geäußert, dass man sich mit diesem Rückgriff auf etwas aus dem Mittelalter eine Vergangenheit schaffen wolle, die man selbst nicht habe. Hierbei wurde auch auf aktuelle US-Mystery-Serien verwiesen, die meistens ein Kleinstadt-Setting fernab von Highway und Globalisierung aufweisen, also gleichsam „mittelalterliche Zustände“.

Mit dem schlechten Gewissen geht zudem die Angst vor Bestrafung einher. Die Hexe von Blair wäre in diesem Kontext als Bestrafungsinstanz anzusehen. Signifikant ist hierbei auch die Endszene des Films, in der Mike – wie ein unartiger Junge, der Buße tut – reglos in der Ecke steht. In diesem Zusammenhang verwies Herr Wetzel auch auf die biblische Mythologie, nach der Lilith, die erste Frau Adams, nachts aus Rache die Kinder der Menschen entführt und tötet. Lilith und Adam waren aus demselben Lehm von Gott als ursprünglich ebenbürtige Partner erschaffen worden, wohingegen Eva, die dann aus Adams Rippe erschaffen wurde, von vornherein untergeordnet war.

„Blair Witch Project“ arbeitet mit vielen Großaufnahmen, die den Eindruck einer Fernsehdokumentationsästhetik verstärken. Schockelemente finden sich hier also auch auf formaler Ebene, da plötzliche Großaufnahmen – ebenso wie beispielsweise ein auf den Zuschauer zukommender Zug – ein traumatisches Moment der Filmwahrnehmung ausmachen. Mit der dem Walter-Benjamin-Text entnommenen Feststellung, dass Filme gucken unter diesem Gesichtspunkt generell ein Schock für die Sehgewohnheiten der Menschen des 19. Jahrhunderts war, wurde die Sitzung beschlossen.